Während Auszubildende im Handwerk oder gewerblich-technischen Bereich praktisches Wissen meist weiter im Betrieb vertiefen, lernen angehende Kaufleute zeitweise im Homeoffice. Was die Ausbildungsgruppen in Zeiten der Pandemie jedoch miteinander vereint, ist das Gebot des Abstands. Doch wie kann die Kommunikation auf Distanz mit Auszubildenden gelingen?

Tipp 1: Weisen Sie als Ausbilder auf mögliche Planänderungen hin

„Achtung! Wegen der Corona-Krise kann es jederzeit zu kurzfristigen Änderungen im TV-Programm kommen.“ Dieser Hinweis ist aktuell auf den einzelnen Seiten der TV-Programmzeitschrift „Hörzu“ zu lesen. Was die TV-Programmzeitschrift kommuniziert, können Betriebe auch auf Berufsausbildung übertragen: Nämlich die Vorwegnahme, dass entgegen der ursprünglichen Planung Unvorhersehbares passieren kann, aber nicht passieren muss. Grundsätzlich können derartige Informationen unerwarteten Ereignissen ihre innewohnende Dramatik nehmen, weil die Beteiligten im Falle eines Falles nicht ratlos dastehen. Ganz im Gegenteil: Das Denken in Alternativen trägt zum Erhalt der Handlungskompetenz bei.

Tipp 2: Fördern Sie die Selbstsicherheit der Auszubildenden

Grundsätzlich sollten Auszubildende mit betrieblichen Anpassungsprozessen – wie Reorganisation, Outsourcing oder Fusion sowie unerwartete Ereignisse der Corona-Krise – zurechtkommen. Allerdings steigt in solchen Zeiten das Bedürfnis nach Sicherheit. Wie lässt sich jedoch Sicherheit in der Unsicherheit entwickeln? Was können Ausbilder tun, um diese Fähigkeit zu fördern? Eine Maßnahme besteht darin, die anstehenden Veränderungen zu kommunizieren. Dabei kommt es nicht so sehr auf das Was und Wie von Vorkommnissen an, sondern vor allem auf das Wozu. Denn wer den Sinn solcher Vorgänge versteht, kann sie auch bewerten und die daraus resultierenden Vor- und Nachteile abwägen. Dies fördert den Aufbau von Sicherheit.

Tipp 3: Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche

In der Krise liegen Chancen und Risiken dicht beieinander. Kritisch wird es jedoch, wenn Auszubildende die Risiken als übermächtig empfinden. Dann fangen sie an, sich dem Neuen gegenüber ablehnend zu verhalten. Wer als Ausbilder seine Auszubildenden emotional erreichen möchte, sollte sich Zeit für das Führen von Gesprächen nehmen und dabei auf die Gefühle seiner Schützlinge eingehen wie Angst, Ärger, Wut, Traurigkeit oder Verzweiflung. Nicht selten lösen sich Emotionen, wenn Menschen ihre persönlichen Bedenken aussprechen können. In der Folge sehen sie Veränderungen oft positiv, nach der Devise: „Ich mache das Beste aus meiner jetzigen Situation und schaue, was ich daraus lernen kann.“

Tipp 4: Beziehen Sie die Auszubildenden in Ihr Vorgehen mit ein

Selbstsicherheit entsteht auch, wenn sich Auszubildende in der aktuellen Situation nicht passiv ausgeliefert fühlen, sondern aktiv bleiben. Sie erleben sich als Mitgestalter der Krise, wenn sie beispielsweise in Absprache mit dem jeweiligen Ausbilder eigene Interessen artikulieren und sich erreichbare Ziele für die nächsten Tage oder Wochen setzen. Durch die Konzentration auf das Machbare unterbricht ein Auszubildender sein Angstmuster und lernt gleichzeitig, ungeklärte Situationen durch konstruktives Gestalten zu überbrücken. Anstatt Veränderungen aus der Opferrolle heraus zu erleben, können Auszubildende sie dann als Herausforderung und Chance annehmen.

Tipp 5: Kommunizieren Sie das Unsichtbare mit

Wie geht es dem Auszubildenden? In welchem emotionalen Zustand befindet sich gerade ein Ausbilder? Die Antworten auf diese Fragen lassen sich normalerweise im Gesicht des jeweils anderen schnell ablesen. Denn Hinweise auf diese Zustände geben vor allem die Augen- und Mundpartie. Doch durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Betrieb fällt aktuell eine wichtige Informationsquelle weg: die Mundpartie. Dieser Verlust kann zu Missverständnissen führen, zum Beispiel: Spricht das Gegenüber so laut, weil er ärgerlich ist, weil er freudig erregt oder weil er wegen seiner Mund-Nasen-Bedeckung schwer zu verstehen ist?

Aus der Mimik des Gegenübers lässt sich jedoch nicht nur der emotionale Zustand ablesen. Sie lässt darüber hinaus auch erkennen, ob und wie eine Mitteilung des Senders beim Empfänger angekommen ist. So entsteht eine Feedbackpraxis, die keinerlei Worte benötigt. Diese Informationen fallen gegenwärtig weg. Um diesen Verlust zu kompensieren und Missverständnissen vorzubeugen, ist es daher empfehlenswert, die nonverbale Kommunikation in Worte zu fassen. „Ich freue mich über Ihr Arbeitsergebnis.“ Oder: „Ich ärgere mich über Ihr Arbeitsergebnis.“ So oder so ähnlich könnten diese Zusatzinformationen lauten. Sie tragen dazu bei, dass Auszubildende die Mitteilungen eindeutiger verstehen.

Tipp 6: Halten Sie den Kontakt zu Ihren Auszubildenden im Homeoffice

Laut Berufsbildungsgesetz sollen Auszubildende grundsätzlich nicht im Homeoffice arbeiten. Die Corona-Krise erfordert jedoch Flexibilität. Deshalb ist es vertretbar, ausnahmsweise das Vertiefen und Lernen von bereits erworbenen Ausbildungsinhalten von Zuhause aus für Auszubildende zuzulassen, wenn ein Ausbildungsunternehmen dies betrieblich ermöglichen kann. Bei dieser zeitlich befristeten Behelfsregelung ist es wichtig, dass Ausbilder ihre Schützlinge betreuen und unterstützen. So fühlen sie sich nicht alleingelassen. Zu den regelmäßigen Gesprächen gehört das Klären der Arbeitsfortschritte und fachlicher Details. Gleiches gilt auch für Fragen, die in erster Linie der Beziehungspflege zwischen Ausbilder und Auszubildenden dienen. Dazu zählen zum Beispiel: „Wie geht es Ihnen?“, „Haben Sie alles, was Sie brauchen?“ oder „Wie kann ich Ihnen helfen, gut durch diese befristete Ausnahmesituation zu kommen?“. Welches Kommunikationsmittel Ausbilder für diese Gespräche wählen, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass der Betrieb die notwendigen technischen Voraussetzungen und die entsprechende Software für die Arbeit zur Verfügung stellt.

Diese Gespräche lassen sich gut ergänzen durch „Rückkehr-Dialoge“, die – wie es der Name vermuten lässt – im Anschluss an die Selbstlernphasen im Betrieb durchgeführt werden. Bei dieser Gelegenheit können auch Themen zur Sprache kommen, die möglicherweise mehr Zeit in Anspruch nehmen, zum Beispiel Fragen der Selbstmotivation, des Zeitmanagements, des selbstorganisierten Lernens oder der Krisenbewältigung. Ob Beteiligte dabei alle Fragen bis ins kleinste Detail klären können, ist nicht oberste Priorität. Am Ende zählt vor allem, dass ein Ausbilder sich in diesen Zeiten als verlässlicher Ansprechpartner erweist und seine Dialoge von einer Haltung geprägt sind, die dem „Rückkehrer“ signalisieren: „Sie müssen da nicht allein durch! Im Gegenteil: Wir werden alles nur Mögliche tun, um sicherzustellen, dass Sie trotz aller Widrigkeiten eine gute Ausbildung erhalten.“

Tipp 7: Gestehen Sie Ihre eigene temporäre Unwissenheit ein

Auf der einen Seite stehen Wissende, auf der anderen Seite Unwissende – nicht selten stellen betriebliche Anpassungsprozesse und unerwartete Ereignisse dieses Verhältnis zwischen Ausbildern und Auszubildenden infrage. In solchen Situationen sind alle Beteiligten gut beraten, zu akzeptieren, dass die Ausbilder genauso wenig oder viel wissen wie die Auszubildenden. Sich als Ausbilder diese temporäre Unwissenheit ungeniert einzugestehen und dem Auszubildenden gegenüber zu kommunizieren, nicht für jedes Problem eine maßgeschneiderte Lösung bieten zu können, ist auch ein ehrlicher Schritt zur neuen Normalität der Unsicherheit. An Ausbilder, die unsicher um Antworten ringen und mitunter schlicht keine haben, werden Auszubildende sich gewönnen müssen. Und als Auszubildender zu wissen, einer unter vielen „Unwissenden“ zu sein, kann enorm entlastend sein und ebenfalls das Gefühl der Selbstsicherheit stärken.

In dieser besonderen Situation gilt es, sich immer wieder neu auszurichten, auf das, was gerade ist oder noch kommen könnte und die außerplanmäßigen Vorkommnisse zur Grundlage weiterer Gespräche zu machen.

Über den Autor: Michael Kluge hat sich als Trainer, Coach und Publizist auf das Thema Berufsausbildung spezialisiert. Er ist Autor des Fachbuchs „Der Ausbilder als Coach“.

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