In Deutschland gibt es immer noch geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede. Ein Grund dafür ist, dass sich Frauen seltener bei Hochlohnfirmen bewerben.

Auch bei vergleichbarer Qualifikation, Tätigkeit und Erwerbsbiografie verdienen Frauen hierzulande weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine aktuelle Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat herausgefunden, dass Frauen ein anderes Bewerbungsverhalten aufweisen als Männer und dass sich damit ein erheblicher Teil der Lohnlücke erklären lässt. Die Studienergebnisse beruhen auf Daten der IAB-Stellenerhebung von 2016 bis 2020 und den Individualdaten 21.694 neueingestellter Personen im Rahmen der Integrierten Erwerbsbiografien (IEB).

Bewerbungsverhalten erklärt Hälfte der bereinigten Verdienstlücke

Laut der Studie verdienen neueingestellte Frauen in Vollzeitjobs hierzulande durchschnittlich 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Vergleicht man das Gehalt von Frauen und Männern, die den gleichen Beruf ausüben und sich in vielen anderen Merkmalen ähneln, etwa Alter, Branche und Arbeitsmarkterfahrung, liegt der „bereinigte“ Unterschied bei 14 bis 15 Prozent. Das IAB hat nun auch das geschlechtsspezifische Bewerbungsverhalten unter die Lupe genommen und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass sich die Verdienstlücke dadurch auf rund sieben Prozent reduziert.

Während das IAB die geschlechtsspezifische Verdienstlücke speziell bei neueingestellten Frauen und Männern in Vollzeit ermittelt hat, berechnet das Statistische Bundesamt (Destatis) regelmäßig den Durchschnittsverdienst aller Erwerbstätigen pro Stunde. Danach ergibt sich für 2022 ein unbereinigter Gender Pay Gap von 18 Prozent. Unter Berücksichtigung vergleichbarer Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien beträgt die bereinigte Gehaltslücke wie beim IAB 7 Prozent, kommt aber aufgrund unterschiedlicher Berechnung zustande.

Frauen bewerben sich seltener bei Unternehmen mit hohen Gehältern

Die Analyse zeigt zunächst, dass sich Frauen seltener bei Unternehmen mit höheren Gehältern und häufiger bei Betrieben mit niedrigeren Löhnen bewerben als Männer. Ihre Bewerbungsquote bei Hochlohnfirmen liegt um mehr als 25 Prozent niedriger als die der Männer. Bei den 10 Prozent der Betriebe mit den niedrigsten Löhnen bewarben sich 55 Prozent Frauen und 45 Prozent Männer. Vergleicht man die Bewerbungsquoten beider Geschlechter für gleiche Berufe und Branchen, ergibt sich ein um 10 Prozent höherer Anteil von Frauen bei den Betrieben mit der niedrigsten Entlohnung und ein um 7 Prozent höherer Anteil von Männern bei den Unternehmen mit der höchsten Entlohnung. Ein weiteres Ergebnis bestätigt diesen Befund: Frauen, die in Jobs mit männerdominierten Bewerbungspools einsteigen, verdienen mehr als jene, bei deren Arbeitsstellen der Männeranteil im Bewerbungspool niedriger ist.

Höhere Anforderungen an Arbeitszeit in Hochlohnfirmen

Warum bewerben sich Frauen seltener bei Hochlohnbetrieben? Die Untersuchung findet verschiedene Erklärungen dafür. In solchen Unternehmen sind die Anforderungen an die Arbeitszeit häufig höher und Männer sind offenbar eher bereit, sich darauf einzulassen. So fällt der Anteil männlicher Bewerber bei steigender Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden höher aus. Beispielsweise beträgt der Anteil der männlichen Bewerber auf Jobs, in denen 40 oder mehr Wochenstunden gearbeitet wird, im Mittel bei über 60 Prozent. Ähnlich sieht es bei Überstunden aus. Männer legen im Schnitt auch größere Pendeldistanzen zu Hochlohnfirmen zurück als Frauen, insbesondere im Vergleich zu Mitarbeiterinnen mit Kindern.

Hohe Flexibilitätsanforderungen im Job vor allem für Mütter häufig unattraktiv

Höher bezahlte Jobs sind aber vor allem auch häufig mit höheren Anforderungen an die Flexibilität der Mitarbeitenden verknüpft, was die Arbeitszeit und die berufliche Mobilität betrifft. Auch hier zeigt sich: Je höher die Flexibilitätsanforderungen sind, desto weniger Frauen bewerben sich. Auf Stellen mit häufigen Dienstreisen und wechselnden Arbeitsorten bewarben sich im Schnitt nur 30 Prozent Frauen gegenüber 70 Prozent Männer. Frauen, insbesondere Mütter, übernehmen zumeist den größten Teil der Sorgearbeit, so die Studie, und können daher den Flexibilitätsanforderungen weniger nachkommen als ihre männlichen Kollegen. Entsprechend niedriger fällt ihr Gehalt aus.

Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, etwa durch flexiblere Arbeitsmodelle und mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten, sowie eine gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit zwischen beiden Elternteilen könnten die individuelle Flexibilität erhöhen, sagt IAB-Forscher Benjamin Lochner, der damit sowohl an Arbeitgeber als auch an die Beschäftigten selbst sowie an die Politik appelliert. Mehr Flexibilität von Frauen könne sich positiv auf das Bewerbungsverhalten und die Verdienstmöglichkeiten auswirken, so Lochner.

Quelle: Personalwirtschaft.de

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