Nachdem rechtsextremistische Ansichten immer mehr Zuspruch in der Gesellschaft finden, haben sich Unternehmen positioniert und warnen vor einer weiteren Radikalisierung. Der Grund: Rechtsextremismus und Diskriminierung sind nicht nur ethisch schwer vertretbar, sondern schaden auch im großen Maße der Wirtschaft. Nun haben erste Wirtschaftswissenschaftler die Aussagen mit Zahlen hinterlegt. Dabei handelt es sich allerdings um rein hypothetische Szenarien.
So beleuchtete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) jüngst die Forderung der AfD nach einem Dexit, einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, und versuchte mögliche Folgen eines solchen zu kalkulieren.
Dazu hat das arbeitgebernahe Institut eine Studie aus Großbritannien aufgegriffen, die die Auswirkungen des Brexit auf das Land untersucht hat. Inwieweit diese Auswirkungen auch in Deutschland bei einem Dexit eintreten könnten, hat das Institut prognostiziert. Demnach käme es Deutschland teuer zu stehen, wenn die AfD ihre wirtschaftspolitischen Pläne umsetzte.
IW-Direktor Michael Hüther sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: Wenn man die britischen Erfahrungen zugrunde lege „würde die deutsche Wirtschaft durch einen Dexit innerhalb weniger Jahre um geschätzte 6 Prozent weniger wachsen. In zehn bis 15 Jahren würde das Minus etwa 10 Prozent betragen.“
Das Institut bestätigte diese Zahlen auf Nachfrage der Personalwirtschaft, und Dr. Knut Bergmann, Leiter des Hauptstadtbüros des IW, ordnete sie ein: „Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen Deutschlands in Europa wären die Folgen für die deutsche Wirtschaft mutmaßlich noch größer als in Großbritannien.“
Die negativen Auswirkungen hängen damit zusammen, dass die deutsche Wirtschaft stark auf den Export ausgerichtet ist. Ein Dexit würde die Handelsbedingungen deutlich verschlechtern. „Wir sprechen von 400 bis 500 Milliarden Euro Verlust“, so Hüther. „Das wären entgangene Gewinne an Wohlstand von Tausenden Euro pro Kopf.“
Diskrepanz zwischen Worten und Taten
Der Wirtschaftsrückgang hätte dem IW zufolge stark negative Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt: „Wenn wir von einem Wachstumsverlust in Deutschland von 5 Prozent ausgehen, so wären dies 2,2 Millionen Arbeitsplätze weniger“, vermutet Hüther.
Vergessen werden darf bei diesen Berechnungen freilich nicht, dass es sich um mögliche Szenarien handelt. Noch scheint es recht unwahrscheinlich, dass die AfD ihre Pläne umsetzen kann. Bergmann betont: „Man muss bei Parteien immer zwischen Programm und der Umsetzung unterscheiden. Bei der Kompetenz muss man bei der AfD aufgrund des Personals ein großes Fragezeichen dran machen.“ Der einzige Bereich, in dem die AfD derzeit wirklich Einfluss auf den politischen Diskurs habe, sei bei der Zuwanderungspolitik.
Zudem sind verfassungsrechtlich die Hürden für einen Dexit hoch, denn für den Austritt aus der EU muss in Deutschland das Grundgesetz mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat geändert werden. Theoretisch kann Deutschland allerdings aus der EU austreten. Das ist seit dem Jahr 2009 im EU-Vertrag geregelt.
Deutschland braucht Zuwanderung
Auch die Pläne der AfD bezüglich Zuwanderung sehen die Wissenschaftler kritisch: Während sich die Partei in ihr Programm geschrieben hat, die Zuwanderung drastisch verringern zu wollen, sind sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, einig, dass Deutschland Zuwanderung braucht, um die fehlenden Fachkräfte in Deutschland zu ersetzen. Professor Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI, sagte bereits 2023 in einem Beitrag für das Magazin Merkur.de, dass Zuwanderung „im Kampf gegen den Fachkräftemangel ein wichtiges Instrument“ sei. Vor allem aus Drittstaaten außerhalb der EU brauche Deutschland mehr Einwanderer. Auch die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer, prognostizierte, Deutschland brauche 1,5 Millionen Zuwanderer pro Jahr, um den Fachkräftemangel zu bewältigen.
Den Fachkräftemangel allein mit einer veränderten Familienpolitik und der Erhöhung der Geburtenrate abzufangen, so Vorschläge aus Reihen der AfD, funktioniert aus Sicht der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht: Schon jetzt fehlten 2022 laut dem IW 630.000 Fachkräfte – und die meisten Babyboomer sind noch nicht in Rente gegangen.
Ausgrenzung schreckt Einwanderer ab
Einen weiteren Aspekt nennt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): „Ich glaube nicht, dass Deutschland durch eine geringere Zahl an Zuwanderern sofort immensen Schaden nehmen würde“, sagte er gegenüber der SZ. Vielmehr schade es, Menschen, die schon da sind, auszugrenzen, zurückzusetzen und ihre Leistungsfähigkeit nicht für dieses Land zu nutzen.
In Sachsen beispielsweise beklagt die Wirtschaft bereits, dass es zunehmend schwieriger werde, Menschen für das Bundesland als Lebens- und Arbeitsort zu begeistern. Die nationalistischen Ideen, so warnt auch der Maschinenbauverband VDMA, würden den Standort Deutschland „ruinieren“. Das untermauert Bergmann mit Ergebnissen aus einer Befragung des IW unter den Hauptgeschäftsführern deutscher Verbände: „Die Befragung zeigt: In AfD-Hochburgen ist es schon jetzt schwieriger geworden, ausländische Fachkräfte zu gewinnen.“
Quelle: Personalwirtschaft.de