Neues Jahr, neue Zielvereinbarungen – zumindest stehen diese spätestens jetzt für alle Unternehmen an, die ihren Mitarbeitenden variable Vergütungen anbieten. Bei den Beschäftigten sind die Bonuszahlungen beliebt. Wie die Robert Walters Gehaltsstudie 2024 zeigt, sehen 66 Prozent der befragten Arbeitnehmenden Bonuszahlungen als ausschlaggebendes Kriterium für die nächste Jobwahl an. Doch dieses Kriterium finden sie tendenziell in weniger Unternehmen wieder. Denn die befragten obersten Führungskräfte gaben an: Es ist immer unwahrscheinlicher, dass Mitarbeitende überhaupt Bonuszahlungen bekommen, geschweige denn, dass sie diese in der gewünschten Höhe erhalten.
Laut Thomas Hoffmann, Senior Director North bei Robert Walters, ist dies ein Fehler. Obwohl Unternehmen in der aktuell wirtschaftlich unsicheren Zeit Kosten sparen müssten, sei ein durchdachtes Bonussystem ein effektives Mittel zur Mitarbeitergewinnung und -bindung. Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler würden hier wohl viel Wert auf das Wort „durchdacht“ legen. Denn das Arbeitsrecht hat teilweise schwierig einzuhaltende Anforderungen an das Bonussystem.
Zielvereinbarung oder Zielvorgabe?
Arbeitgeber können festlegen, dass Mitarbeitende bestimmte vorher festgelegte Ziele erreichen müssen, um einen Bonus ausgezahlt zu bekommen. Die Ziele können auf zwei Wegen beschlossen werden: Erstens, indem beide Parteien (Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber) einvernehmlich Ziele festlegen. In diesem Falle spricht man von einer Zielvereinbarung. Und zweitens, indem der Arbeitgeber die Ziele selbst beschließt, was als Zielvorgabe bezeichnet wird. Bisher gab es noch eine dritte Variante, welche das Bundesarbeitsgericht (BAG) allerdings in seinem Urteil vom Juli 2024 als unwirksam erachtete: die Kombination aus beiden Wegen. Beide Parteien verhandeln erst über die Ziele und wenn es keine Einigung gibt, entscheidet der Arbeitgeber allein über die zu erreichenden Ziele. Dadurch wird aus einer Zielvereinbarung eine Zielvorgabe. „Mit dieser Entscheidung hat das BAG eine durchaus übliche Vertragsgestaltung für unwirksam erklärt“, sagt Holger Lüders, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner, Heuking Kühn Lüer Wojtek.
Wie wurde diese Entscheidung begründet? „Das BAG betonte mit dem Urteil, dass der vorrangig vertragliche Anspruch auf eine gemeinsame Zielvereinbarung nicht durch eine einseitige Zielvorgabe unterlaufen werden darf“, erklärt Sabrina Dettmer, Rechtsanwältin bei Taylor Wessing im Anwaltsspiegel. Die Kombination hätte bisher nicht sichergestellt, dass auch wirklich erst intensiv verhandelt wird.
Mitgestaltung und Dokumentation bei der Verhandlung
Gleichzeitig legte das BAG im Urteil noch einmal dar, wie genau die Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin und Arbeitgeber aussehen müssen. „Ordnungsgemäße Verhandlungen über eine Zielvereinbarung liegen nur dann vor, wenn der Arbeitgeber bereit ist, den wesentlichen Inhalt der von ihm vorgeschlagenen Zielvereinbarung ernsthaft zur Diskussion zu stellen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur interessengerechten Mitgestaltung einräumt“, sagt Dettmer. Die Verhandlungen müssen auf Augenhöhe sein.
Dettmer rät allen Arbeitgebern, die Verhandlungen möglichst umfassend zu dokumentieren, um notfalls beweisen zu können, dass sie den Anforderungen gerecht wurden und trotzdem keine Einigung gefunden werden konnte. Doch die Rechtsanwältin geht noch weiter: „Aufgrund der Risiken sollte der Arbeitgeber erwägen, gänzlich auf einen Zielfestlegungsprozess nach eigenem billigem Ermessen umzusteigen.“ Möchten Arbeitgeber also von Anfang an einseitig Ziele festlegen, gilt für die Zielvorgabe: Sie muss transparent und erreichbar sein.
Wann muss die Zielvereinbarung spätestens stehen?
Doch das ist nur ein Aspekt, den HR bei den Zielvereinbarungen oder Zielvorlagen beachten muss. Denn auch der Zeitpunkt, zu dem die Ziele spätestens festgelegt sein müssen, ist wichtig. Albrecht Nehls, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Pusch Wahlig Workplace Law, hat die Erfahrung gemacht: „Zielvereinbarungen werden oft nicht frühzeitig beschlossen.“ Eigentlich müssten sie zum Ende des Vorjahres in trockenen Tüchern sein, doch oftmals wäre dies erst Anfang oder Mitte des Jahres der Fall. Gibt es keine Zielvereinbarung oder Zielvorgabe bis mehr als drei Viertel des Jahres abgelaufen sind, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin einen Schadensersatz zahlen.
Das bestätigte das Landesarbeitsgericht Köln im Februar 2024 und betonte: Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu so einem späten Zeitpunkt im Kalenderjahr, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie gar nicht erfolgt. Wenn ein Stichtag zur Zielvereinbarung im Arbeitsvertrag ausgemacht wurde, müssen sich Arbeitgeber an diesen halten.
Und was passiert, wenn ein Bonussystem im Arbeitsvertrag festgehalten, aber keine Ziele festgelegt wurden? Es kommt zu einer Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers. „Wenn im Arbeitsvertrag steht, dass beide Parteien für die Zielvereinbarung verantwortlich sind, kann allerdings ein Mitverschulden des Arbeitnehmers anzunehmen sein“, präzisiert Albrecht Nehls. Der Schadensersatz entspricht laut dem Anwalt meist der Zahlungshöhe des Vorjahresbonus. Ausnahmen könnten sich allerdings ergeben, wenn eine schlechtere Leistung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin klar erkennbar ist oder das Unternehmen wirtschaftlich schlechter dasteht als im Vorjahr. Das kann etwa die von Dettmer empfohlene detaillierte Dokumentation der Verhandlungen argumentativ unterstützen.
Kündigung vor Ablauf des Zielvereinbarungszeitraums
Und was, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vor Ablauf des Jahres (oder Ablauf des vereinbarten Zeitraums) kündigt und das Unternehmen verlässt? Dann hat besagte Person anteilig ein Anrecht auf den Bonus. Das hat das Landesarbeitsgericht Badem-Württemberg 2022 entschieden. Eine Regelung in die Vereinbarung zu integrieren, nach der ein Anspruch auf die Bonuszahlung nur dann besteht, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin bis zum 31. Dezember des Jahres im Unternehmen beschäftigt ist, hat das Gericht für unwirksam erklärt. Eine solche benachteilige die besagte Person unangemessen, denn sie versage ihr die für die Arbeitsleistung versprochene und anteilig verdiente Vergütung. Damit darf die jährliche Bonuszahlung nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Arbeitsverhältnis zu einem Stichtag besteht – jedenfalls nicht, wenn es um leistungsbezogene Boni geht. Anders ist es bei leistungsunabhängigen Boni wie der Inflationsausgleichsprämie.
Quelle: Personalwirtschaft.de