Viele Beschäftigte finden, dass Zielvereinbarungsgespräche ihren Zweck verfehlen: die Personalentwicklung etwa, den Aufbau von Vertrauen oder die Steigerung der Motivation. Auch der digitale Wandel lässt das Führungsinstrument altmodisch erscheinen. Es gibt gute Alternativen.
Erste Unternehmen wagen den Schritt
„Die Ankündigung, die Jahresgespräche abzuschaffen, ist von den Mitarbeitenden euphorisch begrüsst worden.“ So zitiert der Blick Martin Scholl, CEO der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Zur Begründung hieß es, dass sie nicht mehr ins heutige Umfeld passen und die Mitarbeiter zu stark einengen. „Sie setzen voraus, dass man ganz genau weiß, was in den nächsten zwölf Monaten auf einen zukommt“, ergänzte er im Interview mit finews.ch. Stattdessen sollen sich die Beschäftigten und deren Vorgesetzte in kürzeren Abständen austauschen und besprechen – die Verantwortung über die Häufigkeit tragen sie gemeinsam.
Der Schritt der ZKB ist, zumindest bislang, noch ungewöhnlich, zumal gleichzeitig auch der Leistungswert als Bewertungsmaßstab abgeschafft wurde. Man habe festgestellt, dass man mit den Mitarbeitern gut über Defizite diskutieren könne, aber auf die Note reagierten sie jeweils „ziemlich empfindlich“, so Scholl. Somit sei sie für das Unternehmen am Ende wertlos gewesen. Der Bankensoftware-Hersteller Avaloq ging noch einen Schritt weiter. Er begrub nicht nur die individuelle Benotung der Mitarbeiter, sondern größtenteils auch den individuellen Bonus.
Change verlangt nach neuen Lösungen
Auch Avaloq sitzt in der Schweiz. Dort zeigt man sich Neuerungen in der Arbeitswelt gegenüber offener, wie schon die Volksabstimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen gezeigt hat. Aber auch in Deutschland wird die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Jahresgespräche intensiv geführt. „Ziel verfehlt“, titelte Brand Eins: Die Schwierigkeit beginne schon mit den Fragen, welche und wie viele Ziele man vereinbart. Zudem mache es Arbeit, sinnvolle Ziele zu vereinbaren. Viele Manager nähmen sich diese jedoch nicht. Und die Motivation? „Den meisten Menschen geht es um Anerkennung“, sagte Organisationsberater Günther Grassmann dem Wirtschaftsmagazin. Das Nichterreichen von Zielen werde aber oft als Strafe erlebt, und zwar stärker, als umgekehrt das Erreichen motiviere.
Es gibt viele Leitfäden und Checklisten zum Führen guter Zielvereinbarungsgespräche. Auf der Fachmesse Zukunft Personal Nord diskutierten 2016 Professor Dr. Jörg Knoblauch von der tempus Unternehmensberatung und Professor Dr. Armin Trost von der Business School der Hochschule Furtwangen aber darüber, ob es die Gespräche überhaupt noch brauche. In agilen Strukturen versagen jährlich angesetzte Mitarbeitergespräche, argumentierte Trost, der über das Thema ein Buch geschrieben hat: „Wenn ich als Chef merke, dass die Leistung eines Mitarbeiters nachlässt, muss ich das mit ihm besprechen, und zwar möglichst bald – nicht einmal im Jahr.
„In der Tat ist die sich stetig und immer schneller verändernde Arbeitswelt der Hauptgrund dafür, dass sich Arbeitgeber nach Alternativen umsehen sollten. Die Unternehmenskulturen wandeln sich, die Mitarbeiterbedürfnisse und die Kommunikation miteinander ebenfalls. „Ziele und Gespräche sollten mehr und mehr auch in Teams gemeinsam vereinbart und geführt werden“, hebt hrpraxis.ch hervor. Zudem sollten Beurteilungen in kurzen Zyklen gleichberechtigt ohne hierarchischen Einbezug und starre Ausrichtungen auf organisatorische Gegebenheiten erfolgen. Darüber hinaus werde auch das Feedback von Markt und Kunden wichtiger.
Es geht auch anders
Wie könnten solche Alternativen aussehen? Organisationsberater Grassmann hat die Zielvereinbarungen in seinem Unternehmen abgeschafft. Stattdessen werden Prämien nun aufgrund von Projekterfolgen vergeben. Damit führe man immer noch zielorientiert, aber nicht mehr mit einem starren Instrument.
Über Ziele, Erwartungen, Leistungen ohne HR und Formular offen sprechen – immer dann, wenn die Dinge anstehen, empfiehlt Trost. Auch er hält Beurteilungen, Feedback und Anerkennung in kürzeren Zyklen, möglichst konkret und nicht nur von Führungskräften, sondern auch von Kollegen und Kunden für sinnvoll.
Bei Avaloq bewerten sich die Teams als Ganzes selbst nach den Kriterien, ob es seine Ziele erreicht hat, und wie es zusammengearbeitet hat. Abhängig vom Unternehmenserfolg fällt dann die Höhe der Mitarbeiterbeteiligung aus. Der neue Modus stärke das Wir-Gefühl und fördere die Kooperation. Gleichzeitig erhöhe sich auch der Druck auf jeden Einzelnen, der nun für die gesamte Teamleistung verantwortlich ist.
Wolfgang Saaman, CEO der Saaman AG, schlug bereits 2011 eine weitere Alternative vor: Führung durch Verantwortung. „Aus der Übernahme der Verantwortung leitet ein Mitarbeiter dann selbst die Ziele ab.“ Schließlich müsse es einen Grund geben, weshalb im Hobby alle Menschen Bestleister sind – und im Beruf oft nicht.