Kranke Beschäftigte bei Tesla in Grünheide blicken nicht nur auf ihre Genesung, sondern auch auf ihre Gehaltsabrechnung – und erleben mitunter eine böse Überraschung. Der US-Autobauer behält laut eines Berichts des Handelsblatts offenbar Lohnzahlungen für krankgemeldete Mitarbeitende ein. Angesichts eines laut eigenen Aussagen überdurchschnittlich hohen Krankenstandes zweifelt das Unternehmen in einigen Fällen an der Gültigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU). Damit nicht genug: Die kranken Mitarbeitenden werden aufgefordert, ihre Ärztinnen und Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Arbeitsrechtlich ist das heikel. Zwar ist es seit einer Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2021 unter bestimmten Voraussetzungen möglich, den Beweiswert einer Krankschreibung zu erschüttern. Doch dafür müssen klare Indizien vorliegen.
Zweifel an der AU müssen begründet sein
„Der Fall Tesla liest sich zunächst so, dass Tesla von einem solchen Fall der Beweiswerterschütterung aufgrund verdächtiger Indizien ausgeht. Ob diese im Einzelfall vorliegen, kann ich nicht erkennen“, meint Arbeitsrechtler Anton Barrein von der Kanzlei activelaw Offenhausen.Wolter. Grundsätzlich gelte aber: „Es ist zulässig, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen anzuzweifeln“, unterstreicht Barrein. Dies gelte natürlich auch für Tesla.
Das Bundesarbeitsgericht habe in mehreren Urteilen klargestellt, dass eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber nur möglich sei, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien, beispielsweise die Krankmeldung als zeitlich zusammenhängende Reaktion auf eine Abmahnung, Versetzung oder sonstige arbeitgeberseitige Maßnahmen, erklärt der Arbeitsrechtler. „Auch eine abgesprochene Krankmeldung als streikähnliche Maßnahme dürfte ausreichend sein“, meint Barrein.
Erst, wenn es solche berechtigten Zweifel an der Krankmeldung gebe (und der Arbeitgeber darauf hinweist), sei der Mitarbeitende verpflichtet, zu seinen Diagnosen Stellung zu nehmen und dezidiert die Krankschreibungsursachen zu beschreiben. „Oftmals findet das erst im arbeitsgerichtlichen Prozess statt. Derartige Prozesse werden momentan sehr häufig geführt“, berichtet der Arbeitsrechtler.
Bereits in der Vergangenheit fragwürdige Maßnahmen
Die umstrittene Lohnkürzung reiht sich im Übrigen in eine Serie fragwürdiger Personalmaßnahmen des Unternehmens ein. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte Tesla mit rigiden Methoden zur Überprüfung von Krankenständen für Kritik gesorgt. So berichteten Mitarbeitende von unangekündigten Hausbesuchen durch den Betriebs- sowie Personalleiter, die kontrollierten, ob Kranke tatsächlich zu Hause waren. Zuvor hatte man durch die Zahlung einer Anwesenheitsprämie versucht, die Krankenstände zu senken. Ob dieses Instrument überhaupt den gewünschten Effekt erzielt, wird angezweifelt.
Falls sich der Verdacht erhärtet, dass das Unternehmen gezielt Druck auf kranke Mitarbeitende ausüben will, könnte das Vorgehen laut des Arbeitsrechtlers Barrein als systematische Abschreckungsstrategie gewertet werden – mit dem Ziel, Mitarbeitende von Krankmeldungen abzuhalten, um die ohnehin angespannte Personalsituation nicht weiter zu belasten. Inwiefern es sich aber tatsächlich um eine Vielzahl von Blaumachern handelt, kann von außen nicht beurteilt werden.
Betriebsrat und Gewerkschaften üben harte Kritik
Scharfe Kritik am Vorgehen des Autobauers kommt naturgemäß von den Gewerkschaften. „Mit diesem inakzeptablen Vorgehen treibt das Unternehmen immer wieder Kolleginnen und Kollegen in finanzielle Not“, sagt IG Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze.
In persönlichen Gesprächen werde den Betroffenen nahegelegt, Aufhebungsverträge zu unterschreiben, um die angeblichen Forderungen loszuwerden – andernfalls verfalle dieses Angebot. Schulze bezeichnet dieses Vorgehen als „völlig unzulässige Einschüchterung“ und als „unglaubliche Belastung“ für die Mitarbeitenden und ihre Familien.
Auch auf Linkedin wird die jüngste negative Schlagzeile aus dem Hause Tesla bereits ausgiebig diskutiert. Dabei fällt das Fazit der meisten Nutzerinnen und Nutzer vernichtend aus. „Ein Unternehmen ist nur so gut wie seine Mitarbeiter. Wer diese jedoch derart unter Druck setzt, wird auf lange Sicht keine loyale und leistungsfähige Belegschaft halten können. Die Frage ist: Will Tesla das überhaupt?“, schreibt ein Linkedin-Nutzer.
Steht Tesla eine Klagewelle bevor?
Sollte sich Teslas Vorgehen als systematische Praxis bestätigen, könnte das Unternehmen bald mit einer Reihe von Gerichtsverfahren konfrontiert werden: Bereits jetzt nehmen Tesla-Mitarbeitende etwa 21-mal so häufig gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch wie Beschäftigte anderer Branchenfirmen, heißt es seitens der IG Metall.
Dass Tesla bei arbeitsrechtlichen Fragen oft einen konfrontativen Kurs fährt, ist bekannt – doch ob dieser sich langfristig durchhalten lässt, bleibt fraglich. Währenddessen bleibt für die Beschäftigten in Grünheide vor allem eine Unsicherheit: Ob und wann sie für ihre Arbeit bezahlt werden – selbst, wenn sie nachweislich krank sind.
Quelle: Personalwirtschaft.de