In der Softwareentwicklung kommen drei Azubis auf zehn Beschäftigte, mehr als irgendwo sonst. Bitkom-Ausbildungsexpertin fordert Pflichtfach Informatik in Schulen.

Am 1. August beginnt das Ausbildungsjahr 2024. Voraussichtlich knapp eine halbe Million junger Menschen macht an diesem Tag in einem der mehr als 300 Ausbildungsberufe, die es in Deutschland gibt, die ersten Schritte ins Berufsleben. Besonders zukunftsträchtig sind dabei Ausbildungen in den MINT-Berufen, (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) denn dort ist der Fachkräftemangel schon jetzt hoch und wird es wohl auch auf absehbare Zeit bleiben: Der Digitalverband Bitkom kalkulierte erst kürzlich die Zahl fehlender IT-Fachleute im Jahr 2040 auf 663.000 – aktuell seien in Deutschland 1,29 Millionen IT-Fachleute beschäftigt, 2040 würden 1,92 Millionen benötigt, rechnete Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst vor.

Drei Azubis kommen auf zehn Digitalprofis

Das Problem ist in der Digitalwirtschaft längst angekommen, und sie stemmt sich auch mit vermehrten Ausbildungsanstrengungen gegen den Mangel. Laut einem gerade veröffentlichten Bericht des Instituts der Deutschen Wirtschaft ist die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen enorm. Im Bereich der Softwareentwicklung mit den Ausbildungsberufen „Fachinformatiker – Fachrichtung Anwendungsentwicklung“ und „Mathematisch-technischer Softwareentwickler“ kamen demnach im vergangenen Jahr knapp 33 Ausbildungsanfänger auf 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist weitaus mehr als üblich. Zum Vergleich: Der Durchschnitt lag 2023 in allen anderen Ausbildungsbereichen bei gut vier Ausbildungsanfängern je 100 Beschäftigte. Das Institut der Deutschen Wirtschaft sieht den Kampf gegen den Fachkräftemangel als Grund für die Ausbildungsanstrengungen, dafür spreche auch der Beschäftigungsanstieg in dem Beruf: Zwischen 2014 und 2023 habe sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Softwareentwickler in Deutschland auf knapp 23.000 Personen verdoppelt.

IT-Ausbildungsplätze sind begehrt

Die Informatik-Ausbildungsplätze seien beim Nachwuchs begehrt, betont Leah Schrimpf, Bereichsleiterin Bildungspolitik beim Branchenverband Bitkom: „Das Interesse an IT-Berufen ist unter jungen Menschen mittlerweile sehr groß, so dass es einige Spezialisierungen gibt, in denen die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber tatsächlich die Anzahl der verfügbaren Ausbildungsplätze übersteigt.“ Das sei einerseits erfreulich, andererseits aber „auch ein Symptom des Mangels“ an IT-Fachleuten, da viele Unternehmen, die eigentlich gern eine Ausbildung anbieten würden, dazu aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht in der Lage seien, so Schrimpf.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft bestätigt die Einschätzung der Bitkom-Expertin. Laut dem IW-Bericht blieben 2023 knapp 8 Prozent der Ausbildungsplätze in der Softwareentwicklung unbesetzt und knapp 6 Prozent in den Informatik-Ausbildungsberufen – womit diese Berufsausbildungen deutlich weniger Besetzungslücken haben als andere Berufe.

Ein Problem, das die IT-Branche seit jeher beschäftigt, ist das Ungleichgewicht von Frauen und Männern. Leah Schrimpf: „Aktuell sind nur circa 18 Prozent der IT-Fachkräfte weiblich, was vor dem Hintergrund des IT-Fachkräftemangels ein großes Problem ist.“ Es brauche dringend eine praxisnähere, klischeefreie Berufsorientierung für junge Frauen, um sicherzustellen, dass auch sie ihre Entwicklungsmöglichkeiten und die Vielseitigkeit der Berufsbilder kennenlernen. Die Bitkom-Ausbildungsexpertin stellt klar: „Die Digitalisierung unserer Gesellschaft geht uns alle an und sollte daher gleichermaßen von Frauen gestaltet werden.“

Hilft ein Pflichtfach Informatik?

Der Branchenverband Bitkom fordert zudem ein Umsteuern in der Bildungspolitik, um für eine zunehmend digitale Welt zukunftstauglich zu bleiben: Ein bundesweites Pflichtfach Informatik ab Sekundarstufe 1, also ab der fünften Klasse, sei dafür wichtig. Darin sollten den Schülerinnen und Schülern „neben digitalen Kompetenzen auch die aktuellsten Entwicklungen der Digitalisierung und Berufsmöglichkeiten in der Branche“ nahegebracht werden, so Schrimpf. „Ein Pflichtfach würde ebenfalls garantieren, dass Mädchen gleichermaßen wie Jungs für Digitalisierung begeistert und auf Potenziale hingewiesen werden.“

Auch die Wirtschaft könne daran mitwirken – zum Beispiel durch Kooperationen mit Schulen im Bereich der Berufsorientierung. Aktuelle Berufsbilder und insbesondere auch weibliche Role Models aus der Digitalwirtschaft sollten regelmäßig sichtbar gemacht werden. Leah Schrimpf: „Ebenso könnten die beratenden Stellen, beispielsweise die Arbeitsagenturen, Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen eingehen, um ähnliche Angebote zu schaffen” Sie sollten auch in der Lage sein, den jungen Menschen aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es für sie in der Digitalwirtschaft geben.

Bitkom-Kritik: Ausbildungssystem ist zu träge

Hinsichtlich der Ausbildungsqualität in den IT-Berufen ist die Bitkom-Expertin trotz der hohen Ausbildungsintensität zuversichtlich, denn „insbesondere Unternehmen der Digitalwirtschaft sind natürlich besonders affin im Einsatz von digitalen Technologien zu einer verbesserten Ausbildungserfahrung“. Gerade durch den Einsatz von hybriden Unterrichtsformaten könnten daher bei gleichem Personalaufwand mehr Auszubildende erreicht und somit in Einzelfällen auch höhere Kapazitäten bei gleichbleibender Qualität angeboten werden.
Sorgen bereitet Leah Schrimpf eher die Trägheit des Ausbildungssystems, was gerade in einem hochdynamischen Bereich wie der Informationstechnologie ein Problem ist: „Leider tut sich das Ausbildungssystem in Teilen sehr schwer damit, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten.“ Die Prozesse zur Neuordnung von Ausbildungsgängen seien „sehr langwierig und schwerfällig“.

Ganz ohne Einfluss ist der Branchenverband nicht, wann immer sich bei Ausbildungsinhalten etwas bewege, fließe auch „die Expertise der Digitalbranche in die Weiterentwicklungen ein“. Doch das reicht der Ausbildungsfachfrau nicht aus: „Es ist wichtig, dass wir hier Wege finden, deutlich agiler Inhalte anzupassen und den Betrieben und berufsbildenden Schulen mehr Flexibilität in der Ausgestaltung ihrer Curricula und Prüfungsformate geben zu können.“

Quelle: Personalwirtschaft.de

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