Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) hilft beim Retention Management und dient Firmen als Instrument zur Gesundheitsförderung

Betriebliches Eingliederungsmanagement – nicht nur für Schwerbehinderte

von Jürgen Heidenreich

Manche Gesetze sind so formuliert, dass sie der durchschnittliche Bürger entweder gar nicht oder falsch versteht. In diese Kategorie gehört auch der § 84 des Sozialgesetzbuchs IX. Dieses Buch beschäftigt sich nach seinem Titel mit den Themen „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“. Vermutlich ist das der Grund, dass sich noch immer hartnäckig die Auffassung hält, das betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nur etwas mit Schwerbehinderten zu tun habe. Obgleich das Gesetz in dieser Form bereits seit 2004 gilt, kennen viele Betriebe ihre entsprechenden Pflichten noch nicht. Daher an dieser Stelle ganz deutlich: Betriebliches Eingliederungsmanagement geht alle Firmen und alle Mitarbeiter an – nicht nur die Schwerbehinderten.

Dieser Beitrag schildert die Hintergründe der Vorschrift und erläutert, welche Kosten, aber auch welche Vorteile sich für die Unternehmen bei Umsetzung des Eingliederungsmanagements ergeben.

Hintergrund

Ursprünglich (bis 2004) galt die Vorschrift tatsächlich nur für Schwerbehinderte und nur bei einer mehr als drei Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit. Der Anteil der Schwerbehinderten in der Bevölkerung steigt mit zunehmendem Alter kontinuierlich an. Bei den über 55jährigen haben bereits rund 15 Prozent eine mindestens 50prozentige Behinderung. (Quelle: destatis, Werte Stand 31.12.2007)Die Ursachen der Schwerbehinderung sind zwar vielfältig, in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle ist aber – anders als gemeinhin angenommen – ein Krankheit und nicht Unfälle. Bei mehr als 82 Prozent der Schwerbehinderten haben die Einschränkungen ihre Ursache in allgemeinen Krankheiten.(Quelle: destatis, Werte Stand 31.12.2007)Gerade für diesen Personenkreis wollte der Gesetzgeber dafür sorgen, dass eine Behinderung nicht zugleich den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten muss. Aus der ursprünglich nur für Schwerbehinderte vorgesehenen besonderen Verpflichtung des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz und zur Wiedereingliederung wurde ab 2004 eine Regelung für alle Beschäftigten getroffen. Seither gelten die Grundsätze zum Wiedereingliederungsmanagement für Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen. Bei den Schwerbehinderten sind in diesem Prozess allerdings zusätzliche Stellen, nämlich die Schwerbehindertenvertretung des Unternehmens (soweit vorhanden) und das Integrationsamt einbezogen.

Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement in Kürze

Grundsatz:

Arbeitgeber sind verpflichtet für Mitarbeiter, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind (ununterbrochen oder wiederholt), ein BEM durchzuführen. Dabei kann das nur mit dem Einverständnis des Beschäftigten, also nicht gegen seinen Willen geschehen.

Verfahren:

Am Anfang steht das Gespräch mit dem Beschäftigten, in dem ihm die Grundzüge des Wiedereingliederungsmanagements dargestellt und seine Zustimmung eingeholt wird. Im Gespräch wird versucht den Ursachen der Erkrankung auf die Spur zu kommen. In weiteren Schritten werden gemeinsam (ggf. mit Unterstützung von Betriebsarzt und anderen Stellen) Maßnahmen zur Vermeidung erneuter Erkrankungen gesucht und umgesetzt.

Dass das BEM seit der Rechtsänderung im Jahre 2004 nicht länger nur für Schwerbehinderte sondern für alle Beschäftigten gilt, haben inzwischen auch die Gerichte bestätigt, darunter das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 29.3.2005 – Aktenzeichen 1 Sa 1429/04) und später das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 12.7.2007 – Aktenzeichen 2 AZR 716/06). In seiner Urteilsbegründung hat das BAG darauf hingewiesen, dass ein nicht durchgeführtes Wiedereingliederungsmanagement keine unmittelbaren Konsequenzen für den Arbeitgeber hat, da entsprechende Sanktionen im Gesetz nicht vorgesehen sind.Zugleich hat das Gericht aber deutlich gemacht, dass unter bestimmten Umständen eine krankheitsbedingte Kündigung nicht möglich ist, wenn der Arbeitgeber kein BEM angeboten hat.

Kündigung wegen Krankheit noch attraktiv?

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Krankheit ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Bisher wurde diese Möglichkeit gern als vermeintlich „einfache“ Kündigungsmöglichkeit gern genutzt. Durch die neuere Rechtsprechung ist diese Alternative aber längst nicht mehr so attraktiv, ganz besonders bei langfristigen Arbeitsunfähigkeiten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und in der Folge des BAG entfallen Urlaubsansprüche nicht mehr, wenn sie wegen Krankheit nicht realisiert werden können, sondern müssen am Ende der Beschäftigung dann ausgezahlt werden.

Dadurch entstehen den Unternehmen natürlich erhebliche Mehrkosten, die eine Kündigung wegen Krankheit in vielen Fällen uninteressant machen können.

Den für die Unternehmen durch BEM entstehenden Kosten stehen auf der anderen Seite Einsparungen und andere Vorteile gegenüber.

Kosten des betrieblichen Eingliederungsmanagements

Der Aufwand der Unternehmen für BEM hält sich eigentlich in Grenzen. In erster Linie entstehen die Kosten durch die Arbeitszeit, die für die Gespräche mit den Mitarbeitern aufgewendet werden muss. Hinzu kommt der administrative Aufwand für die Überwachung der Arbeitsunfähigkeitszeiten, da sich die geforderten sechs Wochen Krankheit auf das ganze Jahr verteilen können. Ergeben sich aus den Gesprächen krankmachende Faktoren die vom Arbeitgeber abgestellt werden müssen, so können dadurch neben dem Aufwand für eventuelle organisatorische Aufwände auch „echte“ Kosten entstehen. Das ist insbesondere der Fall, wenn technische Arbeitserleichterungen beschafft werden müssen.

Einsparungen durch das betriebliche Eingliederungsmanagement

Die durch BEM generierten Einsparungen werden nicht alle auf den ersten Blick erkennbar und sind auch nicht alle unmittelbar in Euro messbar. Die finanziellen Vorteile für die Unternehmen liegen aber auf der Hand:

  • Krankmachende Faktoren können frühzeitig identifiziert und beseitigt werden. Daraus ergeben sich in der Folge geringere Krankenstände, also weniger Arbeitsausfälle.
  • Optimale Organisation, Arbeitsmaterialien und Hilfsmittel führen zu einer höheren Produktivität der Mitarbeiter.
  • Soweit erforderlich ist bei Krankheit eine rechtssichere Kündigung möglich.

Weitere Vorteile durch das betriebliche Eingliederungsmanagement

Neben den bereits genannten Einsparungen gibt es weitere Vorteile für das Unternehmen, die sich zum Teil mittelbar auch finanziell auswirken können.

  • Die Mitarbeiter sind besser motiviert und damit produktiver. Die Beschäftigten erkennen die Bemühungen des Arbeitgebers um eine gesunde Arbeit und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen an. Sie fühlen sich wohler und identifizieren sich mehr mit dem Unternehmen.
  • Das Betriebsklima wird verbessert und führt insgesamt zu einer höheren Lebensqualität – und damit zu einer höheren Produktivität der Mitarbeiter.
  • Fachkräfte im Unternehmen bleiben gesund und damit länger arbeitsfähig. Gerade im Zeichen der demografischen Entwicklung ist dieser Aspekt besonders wichtig

Darüber hinaus ergeben sich gesamtgesellschaftliche Vorteile aufgrund der geringeren Arbeitsunfähigkeitszeiten, nämlich

  • Weniger Leistungsausgaben der Sozialversicherungsträger
  • Höhere Beitragseinnahmen (bei einer Lebenszeitbetrachtung) durch eine längere Berufstätigkeit und weniger Ausfälle durch Krankheiten.
  • Höhere Steuereinnahmen

Fazit

Ja, BEM kostet das Unternehmen Geld. Ja, es ist für die Betriebe mit einem gewissen administrativen Aufwand verbunden. Ja, es ist zwar eine Vorschrift, deren Nichtbefolgung bleibt aber ohne unmittelbare Konsequenzen. Dennoch: Fortschriftliche Unternehmen sollten BEM als das annehmen, was ist tatsächlich ist: Nämlich ein Instrument um die Gesundheit der Mitarbeiter zu befördern und das Unternehmen für diese attraktiver zu machen, für bessere Bindung und einen guten Ruf als Arbeitgeber zu sorgen.

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